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MCS (Multiple chemical sensitivity) – ein Erfahrungsbericht

Wenn zunehmend eingesetzte chemische Produkte zur Beeinträchtigung der Gesundheit führen

Gepostet von Cyrill Steiger am 5. Dezember 2019

Öfters werde ich von Ärzten gefragt, auf welche Medikamente und Lebensmittel ich allergisch reagiere, wenn ich bei ihnen das erste Mal vorstellig werde und anlässlich dieser Konsultation eine Anamnese durchgeführt wird. Es wundert mich jedes Mal, dass keiner bisher gefragt hat: „Haben Sie eine Unverträglichkeit gegenüber chemischen Produkten?“ Natürlich weise ich im thematischen Zusammenhang mit Laktoseintoleranz und anderen allergischen Reaktionen des Körpers auf die Krankheit MCS hin, wonach ich regelmässig in fragende Gesichter blicke. „Hääh, was ist denn das?“ bekomme ich als Antwort zu hören, worauf ich eine Litanei von Symptomen erkläre, mithin die Bedeutung des Begriffs Multiple chemical sensitivity, sowie zwei, drei beispielhafte Anekdoten und abschliessend mein Verdacht eines inzidierenden Auslösers Ende 1992 in meiner Wohnung in Maadi (Kairo).

Besonders im Winter und bei einer länger andauernden Hochdrucklage über Nordafrika und dem Land am Nil, gibt es vereinzelt Tage, an denen bleiern eine dichte Smogglocke über der Millionenstadt hängt. Auch sonst beissen die Abgase in der Innenstadt in den Augen und weisse Kleidung ist innerhalb zweier Tage durch die verpestete Luft senffarben bis beige. Auch sieben Jahre später (1999) war das Problem nicht gelöst, wie es im Spiegel-Online-Artikel von damals mit dem Titel Kairo völlig benebelt heisst. „Kairo – Nach anhaltenden Beschwerden über das beißende Stechen in den Augen und Atmungswegen hat Umweltministerin Nadia Riad Makram am Freitag einen Bericht über die schwerste Umweltbelastung seit Jahren angekündigt.“ Täglich wälzten sich in endlosen Staus gegen 2,5 Millionen Autos durch die engen Strassenschluchten. Entstieg man im Zentrum am Tahrir der U-Bahn, in der noch die etwas sauberere Luft aus der Agglomeration zwangsläufig in den geschlossenen Waggons mitgeführt wurde, trat man in eine dichte Wolke von Stickoxyden, Kohlendioxyd, Kohlenmonoxyd, gepaart mit Schwefeldioxyd, das in Verbindung mit Luftfeuchtigkeit zu einer schwefligen Säure wird. Zum Thema Abgase verfasste Dr. Rüdiger Paschotta einen Artikel im Online-Energie-Lexikon, in welchem auf die teils hochgiftigen Schadstoffemissionen hingewiesen wird (Aktualisierung am 03.11.2018). Von den teils über zehngeschossigen Gebäuden an der Talaat Harb-Street, angrenzend an den offenen Tahrir-Platz sah man gerade mal die untersten fünf bis sechs Stockwerke. Die darüber liegenden Etagen verschwanden im Smog. Das Gesundheitsrisiko Smog wurde unlängst (2017) auf T-online thematisiert (In diesen Städten droht Urlaubern Gefahr). Kairo gehört zu den von Feinstaub belastetsten Grossstädten der Welt mit einem Jahresdurchschnitt von 76 µg/m3. Das ist drei Mal höher als im europäischen Mittel. „Vor allem die ultrafeinen Partikel dringen bis in die Bronchien ein mit allen dazugehörigen Folgen. Tränende Augen, Husten und Schnupfen sind nur die sichtbarsten Auswirkungen. Entzündungen und erhöhtes Thromboserisiko gefährden dabei die Gesundheit auf Dauer.“ Für Schweizer sind solche Umweltbedingungen schwer nachvollziehbar. Dank des Gleichmuts und des etwas zynisch-bissigem Humors der Leute in dieser Mega-City, habe ich von einem Einheimischen in Erfahrung gebracht, weshalb von Frauen wieder vermehrt der Tschador getragen werde. Dieser aus religiösen Gründen getragene Geschichtsschutz habe den Vorteil, die Lungen vor den schädlichen Abgasen zu schützen. In diesem Witz klang aber auch ein wenig die Hilflosigkeit im Hintergrund mit, welche die Bevölkerung gegenüber der untätigen Regierung empfand, zumal die Bauern mit dem Abbrennen der Reisfelder zu dieser Luftverschmutzung beitrugen. Die hier genannte Umweltbelastung war aber nicht massgeblich an meiner MCS beteiligt, mag aber ihren Teil dazu beigetragen haben, denn wie sich herausstellte, bekam ich Symptome wie extremes Asthma nur zeitweise, durch Emissionen von nahe gelegenen Fabriken in Helwan, einem Vorort von Kairo.

Rückblende:

Immer wenn die Flugzeuge über die Dächer von Maadi (Kairo) flogen, im Begriff auf dem grossen Flughafen zu landen, bekam ich starke Asthmaanfälle und regelrechte Atemnot. Den Zusammenhang verstand ich vorerst nicht, was bei mir eine Art Verzweiflung auslöste; war ich doch erst wenige Wochen in dieser schönen, neuen Wohnung eingezogen und war mit meinem Projekt beschäftigt, ein Buch über altägyptische Kultur und Pyramidenbaukunst zu schrieben. Aber jedes Mal, wenn ich Fluglärm hörte, korrelierte dies mit Luftmangel, einem starken Druck auf der Brust und extremen Konzentrationsschwierigkeiten. Lesen und Arbeiten war nicht möglich. Es bestätigte sich nach kurzer Zeit, dass ich auf die Fabrikabgase von Helwan reagierte, die bei Südwind über Maadi zogen, welcher auch die Anflugroute vorgab. Das Rätsel um die Korrelation zwischen Fluglärm und Asthma war damit gelöst. Die Ursache war also nicht abgelassenes Kerosin, wie ich zunächst vermutete. Der Umzug in einen anderen Stadtteil war unerlässlich und so suchte und fand ich eine Wohnung in Nazlet el Saman, an der Shara Abu el Hol, mit direktem Blick auf die Cheopspyramide, über die ich eine Publikation in Vorbereitung hatte. Durch den nahegelegenen Kanal, der aus der Pharaonenzeit stammte, gab es eine extreme Mückenplage, weshalb ich Stecker mit chemischen Duftstoffen und andere Mittel einsetzte, um diese lästigen Viecher zu vertreiben. Wieder bekam ich starkes Asthma, Kopfschmerzen und andere Symptome, ohne jedoch die Ursache genau zu kennen und ich entschied mich für einen erneuten Umzug nach Luxor, wo es zumindest keinen Smog gab. Dort gab es auch keine Mücken. Neben dem Hauseingang befand sich eine Apotheke, die von einem sehr gebildeten Ägypter geführt wurde. Ihm erzählte ich meine Geschichte. Er war auch der Erste, der eine Reaktion auf chemische Produkte vermutete. Vor allem machte ihn der Vorfall hellhörig, der sich bereits vor den Asthmaanfällen in Maadi (Kairo) ereignete. In der Parterrewohnung krabbelten dutzende der grossen nordafrikanischen Kakerlaken in Küche und Bad, sowie im Flur herum; normal in diesem Land. Dieses Ungeziefer finde ich ziemlich eklig, weshalb ich ein Insektizid namens „Raid“ kaufte und zuhause auf die Lauer legte. Der Angriff (engl. „Raid“) sollte überfallartig sein und statt mich auf die korrekte Handhabe zu fokussieren, spritzte ich versehentlich mit der verkehrten Düse mir selber das Gift ins Gesicht. „Knockdown“ nennt sich dieser immobilisierende Effekt, der die spastischen Lähmungen bei den Insekten durch das Nervengift vor Eintritt des Todes herbeiführt. Ich lag kurze Zeit nach dem Einatmen der Dämpfe wie ein Käfer auf dem Rücken im Bett und rang nach Luft. „Der Puls kann sich verlangsamen und unregelmäßig werden, und es können Krämpfe auftreten. Das Atmen kann schwerer werden und die Muskeln zucken und werden schwach. In seltenen Fällen sind die Atemnot und Muskelschwäche tödlich. Die Symptome dauern nach dem Kontakt mit Carbamaten einige Stunden oder Tage an, nach Exposition mit Organophosphaten kann die Schwäche… einige Wochen anhalten.“ heisst es auf der Internetseite MSD-Manuals „Insektizid-Vergiftungen“. Unmittelbar danach fuhr ich mit einem Taxi zum American Hospital of Cairo und wies mich selber in die Notfallabteilung ein. Fast gleichzeitig begann der „Chamsin“, der im Frühling auftretende heisse und trockene Wüstenwind. Ephraim Kishon schrieb einmal: „Wenn der Chamsin bläst, bekommt man keine Luft, kann sich kaum auf den Beinen halten und fühlt das Verdorren der Nervenstränge beinahe plastisch.“ In Kairo mischt sich der dichte, rötlichbraune Saharastaub mit dem Smog zu einer unter Umständen tödlichen Wolke, mit Sichtweiten bis auf wenige Meter. Schweissgebadet, mit Medikamenten vollgestopft lag ich in der Notaufnahme mit aufgesetzter Sauerstoffmaske. Die Klimaanlage war ausgefallen. Zurück in der Schweiz, rd. ein Jahr später, bemerkte ich in meiner Wohnung in Zürich-Örlikon, dass ich jedes Mal beim Düngen meines Ficus Benjamin (Zimmerpflanze) Asthma bekam. Von meinen bis dahin gebrauchten Wasch- und Putzmittel bekam ich Ausschläge auf der Haut. Das Waschmittel „Omo“ verursachte plötzlich eine so heftige Hautreaktion, dass ich glaubte in Brenneseln zu sitzen, kaum hatte ich die Hose angezogen, welche sogar zusätzlich gespült war. Bald war der Weichspüler verbannt, sowie andere Produkte. Doch das Spektrum der Auslöser war so breit, dass es noch nicht spezifisch einzugrenzen war.

Kommissar Zufall:

Auch einige Jahre später war die Suche nach der genauen Ursache meiner zeitweiligen asthmatischen Reaktionen noch nicht gelöst. Äusserst störend waren sie in der eigenen Wohnung, zu bestimmten Tageszeiten. Inzwischen war ich von Zürich weg in eine neue Gemeinde gezogen. Die Korrelation zwischen dem Geräusch bei der Nachbarin ein Stockwerk tiefer, welches wie ein Türe- und Fensteröffnen klang und der schlagartigen Zunahme von Atemnot erinnerte mich an die Situation in Maadi mit den Flugzeugen. Eine von aussen stammende Immission von Allergenen war denkbar und so klingelte ich einmal bei der alten Frau, welche offensichtlich mit Raumsprays die schlechten Gerüche übertünchte. Beim Verlassen der Wohnung, oder beim täglichen, zeitgleichen Lüften, stiegen die Düfte nach oben und mir in die Nase. Mein damaliger Hausarzt Dr. P.M. meinte während einer der vorangegangen Konsultationen, ich solle mir neue Vorhänge kaufen, dann verschwinde das Asthma. Etwas irritiert fragte ich ihn nach dem Zusammenhang. Er könne sich an meine Aussage erinnern, wonach ich grosse, breite Fenster im Wohnzimmer und Büro ohne Vorhänge besässe und meinte ernsthaft, ich fühlte mich seiner Beurteilung nach durch die Blicke der Nachbarn unbewusst gestört. Ich wechselte unmittelbar danach den Hausarzt, da ich im obersten Stock wohnte, ohne die Möglichkeit von Nachbarn in meine Wohnung zu blicken und kaufte auch keine Vorhänge. Untersuchungen bei einem Lungenspezialisten ergaben keine neuen Ergebnisse und so blieb die akribische Suche zunächst erfolglos. Doch eines Tages sah ich im Schweizer Fernsehen ein Interview mit Christian Schifferle, dem Gründer der MCS-Liga und mir fiel auf, dass seine Beschreibung der Symptome exakt auf meine zutrafen. Das war vor rd. 20 Jahren, als ich mit ihm telefonisch Kontakt aufnahm und die MCS-Liga erst wenige Mitglieder hatte. Ich bewundere seinen unermüdlichen Einsatz und gönnee ihm den Erfolg mit seinem gelungenen Pilotprojekt Wohnbaugenossenschaft_Gesundes wohnen MCS , das u.a. von Dr. med. Roman Lietha präsidiert und unterstützt wird. „Mit Hilfe der innovativen Stadt Zürich hat unsere Wohnbaugenossenschaft das MCS-Wohnhaus mit 15 Wohnungen realisiert. Die Stadt ist an neuen Erkenntnissen über gesundes Bauen interessiert. Sie stellt das Bauland im Baurecht zur Verfügung. Es ist ein europaweit vorbildliches Pilotprojekt.“

Aufklärung tut Not:

„Weil bei der Umweltkrankheit MCS das ganze Immunsystem betroffen ist, können Krankheitssymptome im ganzen Körper und in allen Organen auftreten. Da die Diagnose nicht einfach ist, wurden MCS-Betroffene lange als psychisch Kranke oder gar als Hypochonder behandelt, wurden nicht ernst genommen und haben deshalb oft einen langen Leidensweg hinter sich. Dabei sind viele Betroffene schwer chronisch erkrankt und arbeitsunfähig.“

xx

Ärzteblatt de _ MCS

 

Parlament – Eingabe von Pascale Bruderer (2003)_MCS

 

 

 


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