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Tornado in Deutschland vom 05.05.2015

Gepostet von Cyrill Steiger am 11. Mai 2015

Grosstrombe hinterlässt in einer norddeutschen Kleinstadt ein totales Chaos

Am Abend des 05.05.2015 hat in Bützow, in der Nähe von Schwerin, ein Tornado schwere Verwüstungen angerichtet. Die Zerstörungen lassen auf eine Stärke der Kat. 3 auf der offiziellen Fujita-Skala schliessen. Binnen Minuten habe es ausgesehen wie im Krieg, sagte eine betagte Frau im Interview mit zittriger Stimme. Wie durch ein Wunder sind keine Todesopfer zu beklagen. Die Schäden sind hingegen enorm.

Spektakuläres Video: Tornado bei Schwerin

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Einer oder mehrere ?

Lange war noch unklar, ob zwischen dem Tornado, der im Bereich des Schweriner Sees gesichtet wurde (und sich als eher schlanker Rüssel präsentierte; siehe Bild oben) und dem Tornado, der in der rd. 45 km weiter nordöstlich befindlichen Kleinstadt Bützow wütete, einen Zusammenhang besteht. Es könnten zwei unterschiedliche Tromben sein, oder eine, die für europäische Verhältnisse extreme Energien entfaltete, denn die Lebensdauer eines Tornados auf unserem Kontinent ist in der Regel viel kürzer (verglichen mit der Kategorie) und so sind auch die hinterlassenen Schneisen entsprechend kürzer und sehr schwer zuzuordnen. Gemäss ESWD (European Severe Weather Database) waren zwischen 18 25 Uhr MESZ und 18 56 Uhr MESZ vier Tornados in dieser Gegend zu Werke. ESWD

Schwere Schäden in Bützow

In der beschaulichen Kleinstadt Bützow in Mecklenburg-Vorpommern stehen die Bewohner immer noch unter Schock. Der Tornado fegte mitten durch die Siedlung, deckte Dächer teilweise vollständig ab und riss sie aus den Verankerungen. Ganze Baumalleen sind weggefegt. Autos sollen bis zu 70 Meter durch die Luft geschleudert worden sein, berichten Anwohner. Tonnenweise Ziegel säumen die inzwischen notdürftig frei geräumten Strassen. Die Feuerwehren, auch der umliegenden Landkreise, sind permanent im Einsatz. Rund 30 Bewohner wurden verletzt. Zum Glück kam niemand ums Leben.

pic-g80835hDie sich selbst erfüllende Prophezeiung

Es hört sich ein wenig wie „the self fulfilling prophecy“ an, jenes in der Psychologie bekannten Phänomens, wonach durch die eigene Vorstellung in einer bestimmten Erwartungshaltung, das Resultat sich fast zwingend einstellt. Keine drei Wochen zuvor, am 12.04.2015, erschien im Internet ein FOCUS-Artikel mit dem Titel: „Tornado-Warnung: Ein starker Wirbelsturm in Deutschland ist „längst überfällig“. Focus-Artikel . Noch konnte niemand ahnen, dass nur rd. drei Wochen später einer der stärksten Tornados in Deutschland niedergehen würde.

Die Aussage im Focus-Artikel stammt von Meteorologen des „Wetter-online“-Dienstes. Immer wieder wird der F4-Tornado bei Pforzheim am 10.07.1968 erwähnt, der zwei Todesopfer forderte und verheerende Verwüstungen zeitigte. Während viele Bürger kaum ahnen, wie viele Tornados es in Europa gibt und dieses Phänomen infolge intensiver Berichterstattung eher ausschliesslich in den USA vermuten, sind Wetterexperten beunruhigt, da in den letzten Jahren die Häufigkeit der Tornados, vor allem jener der Kategorien F3 und F4 zugenommen hat. Doch die Gesamtzahl der Grosstromben, die gesichtet und registriert werden bleibt dennoch mit rd. 300 – 330 in ganz Europa, bei rd. 1/5 der Anzahl von rd. 1’450 – 1’500 Tornados in den USA, verhältnismässig bescheiden. Während es in Nordamerika bei den alljährlichen Ereignissen nur rd. 0,3% – 0,4% die Stärke F5, bzw. rd. 2% die Stärke F4 erreichen, bleiben weit über 90% unter der Zerstörungsmarke F3. Die meisten Tornados wehen also innerhalb der Kategorien F0 und F2, wie bei uns und in der übrigen Welt.

Es wird gemunkelt, die Erderwärmung und der Klimawandel sei schuld an der Zunahme der Tornados. Dies ist hypothetisch, denn bereits in vergangenen Jahrhunderten gab es Extremwettererscheinungen und Aufzeichnungen von Windhosen, die ein Zerstörungspotential eines F4, gar eines F5 hatten.

Forschung und Vorhersage

Im Vergleich zu den USA ist in Europa die Tornadoforschung noch in den Kinderschuhen. Die Bedingungen sind auch ganz anders. Seit 2006 führt das ESSL (European severe storms laboratory) vermehrt Projekte bezüglich der Unwetterforschung durch. Seit 2000 wird alle zwei Jahre eine europäische Konferenz abgehalten, bei welcher hauptsächlich die Tornadoforschung behandelt wird. Dennoch: Hautmont (F; 2008), Venedig (I, 2012) und Emilia Romagna (I, 2013) – um zwei, drei Beispiele zu nennen, waren nicht vorhergesagt worden und trafen überraschend ein.

Aufgrund der Kartenlage, konnte man bereits am 02.05.2015 ein erhöhtes Tornadorisiko prognostizieren. Ich erklärte einem Forumsmitglied, „nordspot“ Ralph Hudel, dass insbesondere im Left-Exit-Bereich des Höhenjets vermehrt Divergenzfelder auftreten und diese die konvektiven Entwicklungen in jenem Gebiet unterstützen und es dort auch zu Tornados kommen kann. Beitrag Cyrill vom 02.05.2015

Ausschnitt Tornadoparameter_01

Beim GFS-basierten Lightning-Wizard-Tool, gibt es einen Tornado-Parameter, in dem mit Linien die Gefahrenzonen eingezeichnet werden, in denen Tornados entstehen könnten. Das rote Rechteck markiert das Gebiet bei Schwerin bis Bützow, welches zur Hälfte in der Tornadowarnstufe 2 stand.

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Die vollständige Wetterkarte, bzw. Modellierung der Tornadowahrscheinlichkeit, am 05.05.2015, um 15z (= 17 00 Uhr MESZ). Beim WRF-Modell sehr schön zu sehen in der kurz vor dem Ereignis ausgegebenen Karte des Höhenjets (300 hPa Wind): weisse Kontur des Divergenzfeldes bei Schwerin im Bereich des linken Jetausgangs („left-exit“), mit rotem Quadrat markiert. Dort ereigneten sich um 18 30 Uhr MESZ, bzw. um 18 58 Uhr MESZ die Tornados.

U300_eu_001-Markierung

Da ich an jenem Tag mit Tornados gerechnet hatte – sowohl in der Südwest-Schweiz (s. Nebenast des Jets), als auch in Norddeutschland (vgl. SRH 0-3 km-Werte) – und ich zudem das Chasing in der Schweiz wegen seichtem Kaltlufteinfluss stornierte, beobachtete ich zuhause am Rechner aufmerksam die Satelliten-Bilder ab 14 00 Uhr MESZ bis 21 00 Uhr MESZ. Auch die Blitzrate von 7’000 Entladungen in 2 Stunden (BLIDS), bzw. 62’000 bei Blitzortung ist äusserst hoch und beeindruckend (siehe Sturmforumbeitrag: Hohe Blitzrate ). Ich studierte jedes einzelne Sat.-Bild, in der Hoffnung die mir inzwischen vertraut gewordene Wolkenstruktur bei Tornadoereignissen in Europa entdecken zu können, wie dies bei einem Tornado in Polen und bei dem Tornado in Emilia Romagna der Fall gewesen war, um auch meine Theorie zu stützen. Plötzlich entdeckte ich genau diese langgestreckte Tropfenform im Sat.-Bild von 18 45 Uhr MESZ, die um 19 00 Uhr MESZ noch klarer hervortritt (helle und weisse, d.h. hochreichende Konvektionswolke, im Feld markiert):

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Ausschnitt:

sat-bild-08_Ausschnitt

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sat-bild-09 (Ausschnitt)

Natürlich war ich in heller Aufregung, denn nach meiner Theorie wusste ich, was dieser weisse, nach Süden gerichtete Wolken-Zapfen bedeutet. Dies ist das Zeichen für das erreichte Erwachsenenstadium einer Superzelle, wenn diese eine Wolkenschleppe produziert und in einem solchen Fall tornadoträchtig, d.h. sozusagen „schwanger“ mit einem dieser gefährlichen Rüssel ist. Diese Wolkenschleppe ist auch eine Art „Nabelschnur“. Die Versorgungslinie tritt auch unter dem Begriff  „Flanking line“ auf, die nach meiner Theorie (wie in diesem Beispiel) auch aus dem Weltall, von einem Wettersatelliten aus beobachtet werden kann.

Die „Flanking line“ steht immer in einem gewissen Winkel abgespreizt zur Zugbahn, bzw. zum Verlagerungspfad der Superzelle, was in diesem Beispiel sehr schön zu sehen ist und in der Grafik des bekannten Meteorologen im Estofex-Team Oliver Schlenczek schematisch dargestellt wird.

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superzelle

Im RFD (Rear flanking downdraft)-Bereich entstehen die Tornados; im Satellitenbild oben etwa am östlichen Ansatzpunkt des „Zapfens“ bei der Mutterzelle. Dieser Ort deckt sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Tornado bei Bützow, der gemäss ESWD um 18 48 Uhr MESZ die Kleinstadt in einen Trümmerhaufen verwandelte.

Gegen 01 00 Uhr morgens, am 05.05.2015, wurde das Bulletin von Estofex veröffentlicht, mit einem Level 1 (von drei Gefahrenstufen), wobei ich für den nördlichsten Teil ein Level 2 gerechtfertigter gefunden habe.

„Storm Forecast
Valid: Tue 05 May 2015 06:00 to Wed 06 May 2015 06:00 UTC
Issued: Mon 04 May 2015 22:39
Forecaster: PUCIK

A level 1 was issued for N Germany mainly for severe wind gusts and tornadoes.“

Estofex

Nach der Katastrophe wurden mit einer Drohne folgende Videobilder gemacht, die mich sprachlos werden lassen (YouTube-Filme):

Bützow nach der Katastrophe aus der Vogelperspektive

Das Ausmass der Zerstörung in Bützow vom Boden aus

Bei einem Sportplatz in Bützow wurden nur wenige hundert Meter vom Tornado weg, sehr beeindruckende Bilder gemacht;

Tornado vor der Haustüre-01

Tornado vor der Haustüre-02

Ihr XWT Team

PDF zu Ausstellung:

Das Wetter_Sonne Blitz und Wolkenbruch


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