„Immer dem Gewitter nach“ – Artikel in der Thurgauer Zeitung, am 15. August 2003
Interview mit Cyrill Steiger – Schweizweit erster Artikel über einen Sturmjäger und seine Ambitionen
Gewitter faszinierten mich schon als Kind. Ehrfürchtig vor dieser enormen Naturgewalt beobachtete ich sie oft vom Fenster des Hauses aus, in dem ich aufgewachsen war, wenn sie über Zürich zogen. Vor Blitzen besass ich enormen Respekt. Das Thema aber zog mich magisch an und als der Lehrer der Gymnasialklasse im Freien Gymnasium Zürich uns die freie Wahl des Vortrags liess, zögerte ich keine Sekunde: von Blitzen und Gewittern musste er handeln, zumal ich in der Zeitung von einer damals ganz neuen Entdeckung erfuhr, wonach Blitzentladungen in zwei Ladungszuständen gemessen wurden. Es gibt sowohl negative, als positive Blitze, was vor dem Jahr 1972/73 unbekannt war. So eröffnete diese Entdeckung ein riesiges Feld neuer Fragen, die selbst 45 Jahre später in den wesentlichsten Punkten noch nicht beantwortet sind. Ich machte dies zum Hauptthema meines Vortrags am Gymnasium, natürlich nicht ahnend, dass ich 24 Jahre später erstmals als Sturmjäger unterwegs und 30 Jahre später als solchen von einer Zeitungsjournalistin interviewt werden würde.
Bis 1997 besass ich keinen Fernseher, studierte ich doch in meiner Freizeit wie ein Bücherwurm viel Literatur, die im Zusammenhang mit meinen Publikationen über Altägypten standen, oder verfasste Texte zu Referaten, wie zu „Ordo et Mensura V“ in München, zu dessen Kongress ich als Vortragenden eingeladen wurde. Natürlich kannte ich diese Art von „Sucht“, wenn die „Glotze“ im persönlichen Leben zu viel Raum einnimmt. In den 70er- und anfangs der 80er-Jahre, als statt nur in schwarz/weiss die Bilderflut ganz bunt (noch etwas ausgebleicht im Vergleich zu FullHD und 4K, aber farbig) in die heimische Stube flimmerte, sah ich öfter fern, bis ich mir dies für ein paar Jahre untersagte. 1997 bekam ich einen kleinen Röhrenfernseher, der zur Ausmusterung bereit stand, und schon in den ersten Tagen sah ich eine Dokumentation über Tornado- und Blitzjäger in den USA, als diese Tätigkeit hier in der Schweiz und in Europa im Grunde noch völlig unbekannt war. Da hüpfte vor Begeisterung und Freude einer wie bei einem indianischen Regentanz hinter seiner Kamera laut schreien auf und ab, als ein naher Blitz nur wenige Kilometer entfernt direkt vor seiner Linse in den Boden schlug. Das war die Initialzündung: „Das will ich auch machen!“ sagte ich mir und als ausgebildeter Werbefotograf besass ich das Know-How, gut belichtete Aufnahmen zu machen, wollte aber gleich bewegte Bilder einfangen, den Verlauf des Blitzkanals verfolgen und den Unterschied zwischen negativen und positiven Entladungen erkennen. Ich kaufte mir meine erste Videokamera.
Selbst für Profimeteorologen kam 1999 der Jahrhundertsturm „Lothar“ mit Windspitzen um 190-200 km/h völlig überraschend, da u.a. zur damaligen Zeit ein sog. „Schnellläufer“ noch zu wenig erforscht war und die Vorhersage solcher Phänomene damals kaum gelang. Einer der verheerendsten Stürme seit den Wetteraufzeichnungen hatte auch eine immense Schadensumme von 6 Milliarden US$ verursacht, die europaweit nur von „Kyrill“ mit über 10 Milliarden US$ überboten wurde (auch ein „Schnellläufer“). Die Fachwelt war alarmiert, die Budgets wurden hoch geschraubt, die Technik verbessert. Olivier Staiger und ich waren damals die einzigen Sturmjäger in der Schweiz. In ganz Europa waren es vielleicht ein, zwei Dutzend, die vor allem Gewitter jagten. „Klipsi“ (Olivier Staiger) lernte ich erst 2008 kennen, als wir miteinander in Norditalien unterwegs waren. Aber nachdem der amerikanische Spielfilm über Sturm- und Tornadojäger „Twister“ auch in Europa ca. 1998 in’s Kino kam, stieg die Zahl der Stormchaser seit 2001 sprunghaft an. Bei der Gründung des Schweizer Sturmforums meldeten sich gleich mehrere Meteorologen von Meteo Schweiz, aber auch Laien, dort an und diskutierten über Wetterereignisse. Da ich erst 2008 hinzu stiess, kann ich über die Anfangszeit nicht sehr viel berichten. Inzwischen herrscht in den USA ein regelrechtes Gedränge um die besten Plätze von hunderten von Autos, die sich gegenseitig behindern. Es sollen manchmal bis zu 2’000 Chaser sein, die an einer Superzelle dran sind. In Deutschland sind immerhin rd. 350 Sturmjäger bei Skywarn registriert, wenn nicht sogar mehr.
Im Sommer 2003 war ich öfters im unteren Becken des Bodensees unterwegs und entdeckte die Vorteile jenes Aussichtspunktes oberhalb von Kreuzlingen, wo man vom Seerücken aus über die gesamte nordwestliche Ebene blicken kann. Ich war an einem Augusttag schon eine Weile dort, beobachtete ein nicht sehr imposantes Gewitter, als ein dunkler Geländewagen in der Nähe hielt und eine junge Frau ausstieg. Im darauffolgenden, kurzen Gespräch erklärte sie, dass sie gerne einmal einen der Blitze mit der Kamera einfangen wolle. Mehrere Versuche schlugen bisher fehl, liess sie mit entmutigter Miene verlauten und bedankte sich danach für meine wenigen Tipps, die ich ihr gab, um in einem künftigen Versuch erfolgreich auf die Pirsch gehen zu können. „Ah, Sie sind Sturmjäger?“ meinte sie überrascht und stellte sich als Redaktorin der „Thurgauer Zeitung“ vor. Danach hatte sie die Idee ein Portrait über mich zu veröffentlichen und schlug mir einen Termin bei mir zuhause (damals in Embrach) für ein Interview vor. So ergab es sich, dass der erste Artikel über einen Sturmjäger in der Schweiz in der „Thurgauer Zeitung“ vom 15. August 2003 zu lesen war, den ich bei Umzugs- und Aufräumarbeiten in meinem Archiv als Print wieder gefunden habe (er steht bisher online nicht zur Verfügung).
„Immer dem Gewitter nach“ heisst der Titel (von Kathrin Fahrni); hier auszugsweise der Text dazu
Sturm und Donner wecken in ihm den Jagdinstinkt. Wie der Blitz die Kamera eingepackt und los gehts: Cyrill Steiger ist Sturmjäger.
Während Durchschnittsbürger Sonnenschirme einpacken, Bettwäsche aus dem Fenster nehmen und vorsichtshalber alle Kabel ausstecken (ausser das vom Fernseher), herrscht in einem Wohnblock in Embrach freudige Erwartung.
«Bei der Verzweigung Müllheim muss ich mich entscheiden, ob das Gewitter eher Richtung Kreuzlingen oder gegen Weinfelden zutreibt.»
Kein Wort verliert er über die Gefahr, die bei einem Gewitter von Bäumen ausgehen kann. «Mich hat die Verschmelzung aus Faszination und Angst, aus Segen für die Landwirtschaft und vernichtender Gefahr schon als Kind in Bann gezogen.»
Thurgauer Zeitung, Immer dem Gewitter nach_01
Thurgauer Zeitung, Immer dem Gewitter nach_06
Thurgauer Zeitung, Immer dem Gewitter nach_07
Thurgauer Zeitung, Immer dem Gewitter nach_08
Inzwischen sind viele Sturmjäger in den Sommermonaten unterwegs und dokumentieren Gewitter, wie es seit dem Anfang meiner Jagden auch mein Ziel immer schon war, indem wir viel über sie lernen, vor Ort, angesichts des Geschehens, Entwicklungen verfolgen und sie mit der Zeit so gut verstehen, dass wir schon dort sind, wenn sie sich erst bilden und so unsere Vorhersagen und Warnungen vor schweren Unwettern immer genauer werden. Wir sind inzwischen zu respektierten und ernst genommenen Partnern von Profimeteorologen geworden, wenn uns auch die Profiwerkzeuge fehlen, sowie die profunde Ausbildung an der Uni. Aber einige der Laien sind sehr fachkundig und einige Meteorologen sind in ihrer Freizeit auch Sturmjäger geworden, lassen sich fern der Datenanalyse von Wind und dem infernalischen Sound im Rachen einer Superzelle in eine Welt zwischen Faszination und Furcht entführen; brauchen sogar vielleicht auch diesen Adrenalinkick…
14 Jahre später erschien in der „Thurgauer-Zeitung“ ein Bild von mir mit einem Blitz-Naheinschlag in einer Distanz von knapp 250 Metern, in der Nähe von Weinfelden:
Es bleibt eines meiner eindrucksvollsten Bilder, die ich in den 21 Jahren Gewitterjagd aufnehmen konnte. Natürlich war meine Position perfekt und der Ort und Zeitpunkt des ankommenden Gewitters gut vorhergesagt und getimt. Auch die Kameraposition war perfekt. Doch am Ende entscheidet das Glück, ob der Blitzkanal tatsächlich innerhalb des Bildausschnittes zu sehen ist und die Helligkeit (abhängig von der Ampèrezahl) zur Blendenöffnung passt. Je näher der Blitz und je höher die Ampèrezahl, desto heller ist der Kanal und bei 100 ASA und 20 Sek. Belichtungszeit, sollte man schon Blendenöffnungen ab 11, sogar 16 nehmen, sonst ist das Bild massiv überbelichtet.
Schlagen die Blitze in einer Distanz unter 1 km ein, sollte man kürzere Belichtungszeiten wählen, die Türen des Autos öffnen, wonach man jederzeit abhauen und sich in Sicherheit bringen kann. Dies ist nur für erfahrene Sturmjäger zu empfehlen. Ungeübte sollten am Besten schon in Deckung gehen und das Chasing abbrechen, wenn die Blitze in ca. 2 km Distanz von einem entfernt einschlagen. Das sind etwa 6-7 Sekunden Differenz, zwischen Blitz und Donner. In einer Distanz unter 250 Meter besteht bereits Lebensgefahr.