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Der Seerücken und die Drumlins – Gewitterlinie entlang des Bodensees am 19.05.2019

Gepostet von Cyrill Steiger am 16. Oktober 2019

Auch an diesem Tag waren grossräumige, mesoscalige Prozesse über Mitteleuropa zu verzeichnen, wobei ein sog. „Hitzetief“ über Bayern das Geschehen dominierte. Dieser Fachbegriff verführt ein wenig zur Annahme, innerhalb dieses Tiefdruckgebietes herrschten extrem hohe Temperaturen (Hitze) im Vergleich zu den umliegenden Regionen. Diese Annahme ist grundsätzlich falsch, denn die vertikalen Temperaturgradienten aus den Druckzentren hinaus, können auch flach verlaufen und lediglich Unterschiede von ein paar Grad Celsius aufweisen. Im Unterschied zu den Randtiefs und mit diesen verwandten Tierdruckgebieten, verbleiben Hitzetiefs in der Regel mehr oder weniger in der Region, also geostationär, in welcher sie sich gebildet haben und verlagern sich nur geringfügig. Südlich durch die österreichischen Alpen und östlich durch die Berge in Tschechien eingegrenzt, bildet sich in der Region um München, zwischen dem Bodensee und Linz, entlang der Donau vor allem in den Sommermonaten ein Hitzetief, mit schwacher zyklonaler Bewegung.

Sog. „Hitzetief“ über Bayern

In der besonders flachen Druckverteilung, steuert das „Hitzetief“ trockene Kontinentalluft von Osten, bzw. Nordosten her gegen die nördliche Schweizergrenze und in die Bodenseeregion, was durch Absinken ähnlich der klassischen Bise in der Regel gewitterhemmend wirkt. Wie am 19.05.2019 treten tiefe Taupunkte und kaum beachtliche CAPE-Werte den sachkundigen Sturmjägern mal kräftig auf die Euphoriebremse.

Nur 200 Joule / kg ML-50 CAPE-Werte….., wo sonst so ab 2’000 Joule / kg die konvektive Energie in die Gänge bringt und sich Gewitter bilden.

Taupunkt im „Keller“ mit Werten um 10-12° Grad Celius…., wo sonst die 19° Grad-Marke optimalerweise überschritten werden sollte.

Aber das Modell (GFS) rechnet Hebungszonen und verbreitet Gewitter auf der Schwäbischen Alp und in der Nord- /Nordostschweiz. Was ist da los….?

Der Klassiker: eine Bodenwindkonvergenz über dem sog. Seerücken, parallel zur SSO-WNW-Achse des Bodensees. Der Sturm- und Tornadojäger Bernhard Oker postete um 19 04 Uhr diese Windkarte und zeichnete rot die Konvergenzlinie ein, mit der Bemerkung dazu: „Sehe keinen Grund, warum es nicht bis in den Aargau hinein für Gewitter reichen sollte.“

Schweizer Sturmforum Bernhard Oker Konvergenz

Man kann gut die grünen Surface-(Boden)Windkonvergenz-Pfeile erkennen, die entlang der gedachten, d.h. hier in Rot eingezeichneten Linie aufeinander treffen und dynamische Hebung erzeugen. Wie bei jedem orografischen Hindernis unterstützt der flache Seerücken zwischen dem Bodensee und dem Thurtal diesen Prozess, dem in dieser Region viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn gerade bei Ostgewittern spielt der Seerücken, der zum grossen Teil infolge der Moränenbildung aus der letzten Eiszeit entstand, eine entscheidende Rolle, u.a. weil bei der westlichen Begrenzung des Gebietes bei Unterstammheim eine Art „Keulenausbildung“ zu erkennen ist.

Geografische Ausdehnung des Seerückens (Moutainbike-Website)

Wikipedia Seerücken

Auf einer Länge von 15 km sind am Südrand der Grund- und Seitenmoränen aus der letzten Eiszeit sog. „Drumlins“ zu verzeichnen. „Durch strömendes Eis im Randbereich der Vorlandgletscher geformter, schildförmiger Hügel.“ Auch als Stromlinienkörper genannt. Auch wenn im Vergleich zum Alpenvorland und den Hochgebirgszügen dieses Gebiet flach erscheint, bin ich überzeugt, dass der Seerücken genau in solchen Lagen bei der Bildung von Konvergenzen eine dominierende Rolle spielt (Bise/Westwind-Konvergenz).

Geschichte von Müllheim – Wie die Landschaft geformt wurde

Um 17 29 Uhr begab ich mich bei Winterthur auf einen Spotterplatz bei Iberg, um mir ein Bild der Lage machen zu können. In Richtung Osten und Tösstal war nur stratiformes Gewölk auszumachen. Da wird es keine Gewitter geben.

Da wird definitiv nix draus….. Blick in Richtung Osten auf meinem Spotterplatz oberhalb Winterthur Seen bei Iberg

Dann blickte ich nach Norden, hin zur vermuteten Konvergenzlinie, konsultierte den Donnerradar, auf dem aber keine konvektive Entwicklung zu erkennen war – noch nicht. Es braucht etwas Übung, bzw. Erfahrung, aus den dutzenden von Wolkenarten, die eine Szenerie beherrschen, die entscheidenden, konvektiven Elemente zu erkennen. Im Bild hier (unten) sah ich einen etwas versteckten Congestus von Iberg aus und setzte mich sofort ins Auto und fuhr in Richtung Schaffhausen, um die allfällig sich entwickelnden Zellen aus Osten im Westen abzufangen.

Rapsfeld bei Iberg, östlich von Winterthur, auf einem meiner Spotterplätze. Mit Blick nach Norden in Richtung Bodensee entdeckte ich einen ziemlich versteckten, „gesunden“ Congestus, um 17 40 Uhr. Das Startzeichen für ein Chasing nach Schaffhausen, um die Linie aus Osten im Westen abzufangen.

Hügel, Wälder und Siedlungen verdecken die Sicht in Richtung Norden, wenn man von Winterthur Seen sich auf den Weg über die A4 in Richtung Schaffhausen macht und ich wusste ab Kleinandelfingen öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick frei nach Norden. Das Adrenalin stieg mit der zunehmenden Spannung und der Frage, ob ich nicht zu hoch gepokert hätte. Dann die Erlösung: kaum waren die letzten Baumreihen an mir vorbei gehuscht, erblickte ich vor mir wunderschöne TCu’s. Was für ein herrlicher Anblick!

Towering Cumulus (TCu’s) bereits über dem Congestusstadium hinaus, sich auswachsend zu veritablen Gewitterclustern. Nach Kleinandelfingen öffnet sich auf den A4 der Blick in Richtung Norden…

Ich kannte einen weiteren guten Spotterplatz bei Benken und machte von da aus um 18 08 Uhr einige Fotos und sah auf dem Donnerradar, wie die Zellen elektrisch wurden.

Entlang der Konvergenzlinie auf dem Seerücken bildete sich eine imposante Gewitterfront, die verclusterte und durch die Sonne begünstigt am westlichen Ende immer wieder neu anbaute. Im Vordergrund das Dorf Benken.

Gigantische Wolkentürme schoben sich nach Westen…. Benken rechts im Bild

In der Bildmitte erkennt man unter der Mutterwolke eine trichterförmige Wolkenabsenkung. Es könnte eine Funnelcloud gewesen sein. Weil sie so undeutlich zu sehen und im Schatten war, kann ich dies nicht behaupten.

Um schliesslich vor die Linie zu kommen, fuhr ich zu einem Spotterplatz oberhalb von Schaffhausen, beobachtete das Geschehen, genoss die Abendstimmung mit den schönen Blitzen…..; inzwischen war es 19:04 Uhr.

Eine niederschlagsreiche Gewitterlinie schob sich von Osten nach Westen und profitierte von der Bisen-Westwindkonvergenz. Schöne Blitze waren dabei! Im Hintergrund Schaffhausen.

Faszinierendes Licht- und Farbenspiel

Als die schönste Phase dieses Naturschauspiels vorbei war und die Blitzaktivität auf Nulls sank, rief ich einer Kollegin an, ich käme jetzt nach Winterthur, wie vereinbart. Noch wusste ich nicht, dass ich eine weitere Gewitterzelle chasen würde. Das wurde mir erst klar, als ich auf der A4 zurück fuhr und auf der Brücke bei Kleinandelfingen eine neue Zelle am Horizont entdeckte. Eine blitzaktive Linie schwappte von Norden her parallel zur Konvergenzlinie über das Thurtal nach Süden, vermutlich durch den Seerücken orografisch unterstützt. Kurz nach Oberwinterthur sah ich sie links vor mir, als ich in östlicher Richtung fahrend die markanten Shelfcloud-Strukturen bewunderte.

Eine riesige Gewitterlinie mit Shelfcloud-Strukturen überquert die Autobahn in Richtung St.. Gallen von Norden her.

Schliesslich fuhr ich zu einem meiner Lieblingsspotterplätze in jener Gegend, den ich für solche Situationen sehr oft verwende, auf der Wängistrasse bei Wittenwil.

Die aus Norden ankommende Gewitterlinie schwächte sich in der sehr trockenen, energielosen Luftmasse südlich des Thurtals rasch ab und sah aus wie Wasser in der Brandung einer Küste.

„Es wird hier dunkler…“ schrieb Uwe aus Eschlikon (Ortschaft hinten am rechten Bildrand) um 20:01 Uhr ins Schweizer Sturmforum. Doch die Gewitterlinien sind abgestorben. Aus und vorbei…..; das sieht man schon diesen Wolken an. Da wird nix mehr… Zeit 20:01 Uhr

Es war 20:01 Uhr als alles vorbei war und ich nach Hause fuhr….

Exakt in der selben Minute (20:01 Uhr) schrieb ein User (Uwe) ins Schweizer Sturmforum (er wohnt in Eschlikon, also ganz in der Nähe, am hinteren Bildrand rechts): „Es wird hier dunkler, aber noch ohne Blitz und Donner…….mal schauen.“

Schweizer Sturmforum, Uwe in Eschlikon

Uwe schrieb um 20:10 Uhr: „Es ist rund herum dunkel wie die Nacht, aber noch kein Tropfen.“ Und um 21:00 schrieb er enttäuscht: „Knapp 10 Min lang gab es mässigen Regen, aber ohne Gewitter (ein Rumpler weit weg).“

Schweizer Sturmforum Uwe Eschlikon, 21 00 Uhr

Für mich war es um 20 00 Uhr schon vorbei. Ich fuhr zu meiner Kollegin….

Mein kurzer Chasingbericht, den ich vor Mitternacht im Forum noch publizierte….

Schweizer Sturmforum, Chasingbericht Cyrill

 


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