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Achtsamkeit im „Schnäggeloch“ – Findet „Hans Dampf“ doch noch inneren Frieden?

Psychohygienische Aspekte in der Frage um einen inflationären Begriff

Gepostet von Cyrill Steiger am 29. Dezember 2019

In einem bestimmten Rhythmus wurde mir als Kind aufgetragen, jene Verse mitzusprechen, die gesanglos vorgetragen wurden, in denen es um diesen ominösen „Hans Dampf“ ging. Die Erinnerung an den Wortlaut ist rückblickend schon wesentlich schwächer, als jene der Taktabfolge, welche eindeutig didaktischen Charakter hatte, um sich als Kleinkind mutiger an ein Instrument heran zu wagen. Bald spielte ich im Vorschulalter die ersten Töne zu Weihnachten auf der Blockflöte, während der Fuss zum Erlernen der Regelmässigkeiten in der Musik auf den Boden tippte, was später das Metronom übernahm, als ich mit 10 Jahren Querflöte erlernte. Mein Unterbewusstsein hat sich aber nicht nur jene „Hans Dampf“-Versmetrik gemerkt, sondern auch inhaltliche Aspekte haben sich darin eingegraben, so als wären sie tätowiert. Da meine Mutter fern des Lernbegehrens mir Rhythmus beizubringen in bestimmten Momenten sagte, ich sei ein „Hans Dampf“, hat sich dieser Begriff seither immer an ein schlechtes Gewissen gekoppelt, mit der Mahnung Bescheidenheit zu üben. Es waren jene Momente, als ich dachte, es würde mir mehr zuteil werden dürfen, als aus der Sicht meiner Mutter mir zustand, auch beim Begehren um mehr Anerkennung und Liebe. In der Regel ging es aber um profanere Wünsche, wie Spielzeug, oder ein Fahrrad, das mir verwehrt wurde und mein gleichaltriger Nachbar bereits besitzen durfte. Aber er war ja nicht der Einzige, der aus meiner Sicht äusserst grosszügige Eltern besass und vieles von jenen vor allem materiellen Dingen haben durften, die ich begehrte. Doch nach der „Hans Dampf“-Philosophie ist es verwerflich immer mehr zu wollen als man hat – so der Grundtenor der Verse. Frieden finde man in der Genügsamkeit, hiesse es modern übersetzt. So weit weg vom Begriff der Achtsamkeit ist die Semantik dieser ins Unterbewusstsein sich eingrabenden Texte nicht; oder doch?

Das schweizerische Sprichwort „Hans was Heiri“ bedeutet, es gebe zwischen zwei Dingen keinen Unterschied. Es sei etwas „gehupft, wie gesprungen“, bzw. einerlei, würde man im Deutschen sagen. Hans ist nicht nur ein Personenname, sondern auch aufgrund der ehemaligen Häufigkeit vielleicht ein Synonym für „Tausendsassa“ geworden, was sich in der Geschichte um den „Hans Dampf“ niederschlägt. In Wikipedia heisst es, Hans sei zur Projektionsfläche „für wilde Vorstellungen und Spekulationen“ gewesen. Zur Auflösung des Begriffs „Schnäggeloch“ kann ich nur soviel beitragen, als dass es sich ursprünglich nicht um ein Loch handelt, in der sich angeblich eine Schnecke (ch „Schnägg“) versteckt, sondern historisch offenbar belegt ist, wonach das Wort „Schnook“ im kurpfälzischen Dialekt für „Witz“ steht. (siehe „Infos zu Schnookeloch„) In dem 1916 erschienenen Drama „Hans im Schnakenloch“ von René Schickele, wird ein unsicherer und willensschwacher Mensch gezeichnet, der sich in einer Gewissensfrage opportun verhält. Zunächst entscheidet er sich sowohl für die eine, wie die andere Seite, weshalb sinnverwandt auch der Ausdruck „Hansdampf in allen Gassen“ sich in den Sprachgebrauch eingebürgert hat. „Hans Dampf“ (od. „Hansdampf“) war nicht immer positiv besetzt, sondern „Hans gilt nichts, den soll man hassen“, reimte sich auch ideal auf „Gassen“. Erst später schien sich die Sinngebung des Wortes nach der Bedeutung „Allerweltskerl, waghalsiger Draufgänger, heldenhafter Haudegen, Lebenskünstler“ verändert zu haben.

Beachtet man vorerst den Stil der Versmetrik in der „Hans Dampf-Geschichte„, so fällt einem sofort dieser Zwiespalt in den Bedürfnissen des Protagonisten auf. Im Antagonismus „Und was er hat, das will er nicht und was er will, das hat er nicht…“ tritt deutlich dieser Kontrast zutage, den man (aus einem psychologischen Standpunkt betrachtet) als einen inneren Konflikt erkennen kann. „Die Psyche eines Menschen befindet sich dann nicht mehr im Gleichgewicht. Innere Konflikte sind häufig und bleiben oftmals sogar von der Person selbst unerkannt.“ heisst es in einem im Internet publizierten Artikel mit dem Titel: „Innere Konflikte: Der Kampf mit sich selbst“ der SRH-Fernhochschule. Die fünf Strophen in der „Hans Dampf-Geschichte“ sind von der Versmetrik her identisch aufgebaut, wobei der antagonistische Mittelteil jeweils von der Feststellung eingerahmt wird, Hans habe (1), sage (2), mache (3) und könne alles (4), was er wolle, wie er auch dorthin gehe (5), wohin er wolle. „Hans Dampf“ ist im eigentlichen Sinne ein „enfent terrible“, ein „schreckliches Kind“, welcher sich an keine gesellschaftlichen Konventionen gebunden fühlt: ein Rebell (was er macht, das gehört sich nicht), ein Verweigerer (was er soll, das macht er nicht), ein Rastloser (wo er ist, da bleibt er nicht) und in höchstem Masse ambivalent. Bereits in der ersten Strophe heisst es sinnfällig: „Und was er hat, das will er nicht und was er will, das hat er nicht.“ Anhand der Studien von Kurt Levin über gegensätzliche Verhaltensoptionen, welche ursächlich zu Stress, sowie somatischen Beschwerden führen, kann man hier von einer inneren Blockade sprechen, die in einem Annäherungs-Vermeidungskonflikt kaum zu durchbrechen sei. Hans will, was er nicht hat und kaum hat er sein Ziel erreicht, will er es nicht mehr. Bereits als Kind fiel mir die Widersinnigkeit in der ersten Strophe auf, wo es heisst: „(Hans Dampf) hat alles was er will / Und was er hat, das will er nicht / Und was er will das hat er nicht.“ Wie jetzt? Er hat ja, was er will und doch hat er nicht, was er will? Diese abstruse Formulierung lässt sich nur auflösen, wenn man sie mit Strophe 3 in Vergleich zieht, wo Hans macht, was er will. Denn er macht, was er nicht tun sollte und was er tun sollte, macht er nicht. In Strophe 1 ist also der Besitz von dem was er wollte eine Übergangsphase zwischen den beiden Taktiken, diesen Besitz wieder loszuwerden (Vermeidung) und erneut Besitz anzuhäufen (Annäherung), in dessen Ambivalenz sich die Psyche verstrickt. Ich will nicht darüber urteilen, ob solche Verse einem Kind zugemutet werden können, oder nicht, zumal die Autorin Julia Hillenbrandt die Meinung vertritt, ein innerer Konflikt könne auch eine Triebfeder für „Veränderungen und persönliche Weiterentwicklungen“ sein (Innere Konflikte: Der Kampf mit sich selbst„. Dennoch vage ich zu behaupten, dass die Personalisierung durch die Verwendung solcher Verse eindeutig ein Missbrauch in der Erziehung von Kindern darstellen. Diese sind im Vorschulalter noch nicht fähig komplizierte Textinhalte zu abstrahieren, empfinden aber die in den Versen vorkommenden, negativen Charaktereigenschaften von „Hans Dampf“ als direkte Projektion. Aus der unfreiwilligen Identifikation mit dieser fiktiven Figur aus dem Drama von 1916, beginnt sich ein Kleinkind doch zu fragen, wie es aus dem Dilemma zu entfliehen vermöge, vielleicht mit der Hoffnung auf ein Ende vielerlei quälender Fragen in Bezug auf die Thematik unterschiedlicher Verhaltensoptionen.

Konkret habe ich mich bereits als Kind, aber auch als Erwachsener gefragt, weshalb ich mich stets mit dem Erreichten nie ganz zufrieden geben konnte, beinahe getrieben von der Vorstellung, ich müsse unentwegt etwas besseres planen, als dort auszuruhen und genügsam zu sein, wo man angekommen ist, nachdem man zuvor bestimmte Ziele gesteckt hatte. Wir leben zugegebenermassen in einer höchst kompetitiven Leistungsgesellschaft, in welcher hierarchische Strukturen bestehen, in denen wir uns einzubinden versuchen; und es ist evolutionsbedingt nicht von der Hand zu weisen, dass gewisse genetische Voraussetzungen gegeben sind, um je nach Art Überlebensstrategien zu entwickeln. Darüber hinaus herrscht die Neugier des Menschen auf alles Neue und die Erforschung von Unbekanntem. Dieser in uns schlummernde Antrieb hat uns seit der Morgenröte der Entwicklung moderner Zivilisationen beschäftigt. Sodann ist historisch auch belegbar, wonach nicht nur Individuen, sondern ganze Stämme, Sippen und Bevölkerungsgruppen neue Territorien eroberten, manchmal sogar mit brutaler Gewalt, und sich Wissensbereiche erschlossen, sogar auf die Gefahr hin dafür geächtet, oder gar getötet zu werden. Forschung und Genügsamkeit schliessen sich aus. Jeden Tag sind wir durch neue Nachrichten in Radio, Fernsehen, Printmedien und digitalen Medien umgetrieben und in Aufruhr versetzt. Eine Schlagzeile soll das Interesse wecken, bisher Unbekanntes erfahren zu wollen. Zutiefst menschlich ist sodann etwas zu begehren, oder sich von einer Sache zu distanzieren. Problematisch wird dies erst, wenn gleichzeitig sich beide Verhaltensweisen auf dasselbe fokussieren. Der so denkende und fühlende Mensch gerät in einen Zwiespalt. „Hans Dampf“ ist hin- und hergerissen. Er ist unschlüssig und ruhelos, aber daher auch nicht ganz glaubwürdig und frech. Diese Eigenschaften soll ich als Kind gehabt haben, falls ich meine Mutter damals nicht missverstanden hatte, denn sie nannte mich öfters einen „Hans Dampf“?

Aus pädagogischer Sicht ist es natürlich mehr als fragwürdig, wenn Eltern ihren Kindern aus erzieherischen Gründen Namen geben, durch die sie sich mit einer unkonventionellen Person identifizieren sollten. „Bisch en Gispel!“ hiess es manchmal, wenn ich unruhig auf dem Stuhl hin- und herrutschte, was sinngemäss in die Nähe von „Zappelphilipp“ zugeordnet werden könnte und mich daran mahnen sollte, still und artig neben ihnen zu sitzen, bis sie ihre ellenlangen Gespräche mit Bekannten beendeten. Hätte man mich ab und zu gefragt, ob ich mich noch wohl fühle, auch einmal etwas sagen wolle, oder nach meinen eigenen Bedürfnissen erkundigt, wäre ich sicher weniger gisplig gewesen. Heute werden viele Kindern und Jugendliche gleich zum Arzt geschickt, weil ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) vermutet wird. Sie werden danach mit Ritalin und andern Medikamenten ruhig gestellt, obwohl viele Kinder im Grunde aus dem Radar der Achtsamkeit der Eltern gefallen sind. Der „Hans Dampf“ hält sich überhaupt nicht an etwelche Konventionen. Der Bub ist ein „schreckliches Kind“, ohne Anstand und Sitte, der im Grunde alles kann, aber nichts richtig zustande bringt. Er ist ein „Schlufi“, ein nicht vertrauenswürdiger Mensch. Jedenfalls war ich durch den Begriff des „Hans Dampf“ ziemlich stigmatisiert, vor allem durch die erste Strophe, die sich in mein Unterbewusstsein tief eingegraben hatte und sich dessen Inhalt wie eine unsichtbare Triebfeder verhielt.

Meine Grosseltern mütterlicherseits waren äusserst bescheidene Menschen. Sie wohnten mit meiner Tante zusammen in einem rustikalen Holzhaus, ohne Zentralheizung und Warmwasser. Dieses wurde in einem verkalkten, alten Kessel im Kachelofen aufgeheizt, um dreckiges Geschirr zu waschen, oder Putzwasser bereitzustellen. Jeder Handgriff wurde mit Bedacht vollzogen. In Grossvaters Werkstatt im Keller roch es nach frischen Hobelspänen, da er alle Reparaturen in Haus und Garten auf fachmännische Weise selber ausführte. Nebenan gab es einen von der Erde gekühlten Raum, in dem sich die Düfte gelagerter Äpfel, Birnen, Kartoffeln und Karotten ausbreiteten. Sie stammten alle aus dem eigenen Garten, wo auch frische Tomaten, Salate, Kräuter, Beeren und verschiedene Gemüsesorten angebaut wurden und ich in den Sommerferien oft beim Ernten, oder beim Unkraut jäten half. Meine Grossmutter war sehr schweigsam und mit Gott in stillem Zwiegespräch, wenn sie der Predigt im Radio lauschte, so ganz bei sich und ohne vieler Worte. Es schien auch so, wenn sie auf der Bank draussen in der Frühlingssonne die wärmenden Strahlen genoss und uns Kindern mit verschmitztem Lächeln zuschaute, wenn wir an Ostern auf die Eiersuche gingen. Das Suchen der frisch gelegten Eier von den über 300 Hühner im kleinen Hof nebenan übernahm hingegen mein Grossvater, da ich das Geflügel zu sehr aufgeschreckt hätte. Erst als ich diese besinnliche, innere Ruhe und Schweigsamkeit erlernte, durfte ich als Knabe in den Hühnerstall, um unter den brütenden Hühnern die Eier hervorklauben. Danach ging es mit ihnen in die Werkstatt, dort wurden sie durchleuchtet und meiner Tante in die Küche gebracht, die eine feine Omelette daraus machte. Am Abend, wenn Grossvaters Zigarre im Mund schon häufiger vor seinem zufriedenen Gesicht glimmte, wusste ich sofort, sein Tagwerk war erreicht und in einem gemütlichen Spaziergang durfte ich ihn bis hin zur Molkerei im kleinen Dorf weiter oben begleiten, um mit dem alten, verbeulten Milchkessel frische Kuhmilch zu holen, die zur selben Zeit von den Bauern in riesigen Kannen hergebracht wurde. Wieder zuhause braute ihm meine Grossmutter einen feinen Kaffee, den sie in sein Lieblings-„Chacheli“ (Schüsselchen/ Keramikkachel) goss, welches ich ihm als Kind getöpfert hatte und ich bekam meine heisse Ovomaltine mit frischer Kuhmilch vom Bauern. Nach dem Tod meines Grossvaters erbte das „Chacheli“ meine Tante, die schliesslich das Haus kurz vor ihrem Tod räumte, wo ich es nach über 35 Jahren wieder zu Gesicht bekam. Es musste schon mehrmals auf den Boden gefallen sein, denn wie ein Mosaik war es sorgsam immer wieder zusammengeleimt worden.

 

 

zu meinem Stigma, das mich bis heute zuweilen verfolgt, wenn ich jeweils mit der Möglichkeit konfrontiert werde, inneren Frieden und seelische Ruhe zu finden und er auf dem Weg diese Zustände (z.B. durch Meditation) zu erreichen, mir in Bezug auf die Psyche als Hindernis auftaucht. Daraus entsteht eine unterschwellige Unzufriedenheit, welche von einem latenten Mangelbewusstsein genährt wird…

 

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Er tut nicht, was er machen müsste: achtsam sein und sich weniger dem Gefühl der Sehnsucht zu unterwerfen, vielmehr der Erfüllung in jedem Augenblick des Lebens.

Achtsamkeit ….. auf das erfüllt sein und bringt unsere Seele in die Balance. Harmonie entsteht, wenn die Erwartungen und die Umstände im Gleichklang sind.

„Das Konzept Achtsamkeit ist 2500 Jahre alt und stammt aus dem Buddhismus. Satipatthãna – Sutta sind die Lehrreden des Buddha über die Grundlagen der Achtsamkeit. Im Buddhismus wird Achtsamkeit definiert als Lenkung der Aufmerksamkeit auf Handlungen und Gedanken des gegenwärtigen Moments. Jeder Mensch trägt den Samen der Achtsamkeit in sich.“ (Achtsamkeit als Determinante von Glück im Alter, Seite 252)

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Weitere Textteile folgen…

 

 

 

 

 

 

 

 


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