Xtreme Weather Tours Blog

Einschlag eines Blitzes in mein Auto bei Lipperswil am 27.07.2016, aus einer über 9 km entfernten Gewitterzelle

Analyse von einem aussergewöhnlichen Erlebnis eines Naheinschlags

Gepostet von Cyrill Steiger am 5. November 2017

Mittwoch 27.07.2016. Ich war, wie in den Tagen zuvor, mit dem Auto auf Gewitterjagd und entdeckte auf dem Radar eine Zelle am Überlingersee, östlich von Bodman in Deutschland, die um ca. 21 38 Uhr blitzaktiv wurde.

Kachelmannwetter, erste Blitze östlich von Bodman (D)

Zunächst waren da nur einige wenige Wolkenblitze drin, weshalb ich noch zögerte. Dann schien sie sich zu verstärken (um ca. 22 04 Uhr / Erste positive Erdblitze südöstlich von Bodman ) und in Richtung Konstanz sich zu verlagern. Da ich nördlich des Seerückens oberhalb Kreuzlingen einen guten Aussichtspunkt, bzw. Spotterplatz kenne, von dem aus man das untere Bodenseebecken überblicken kann und ich in der Region Meersburg, am gegenüberliegenden Ufer, die baldige Ankunft der Gewitterzelle erwartete, fuhr ich auf der A7 von Winterthur in Richtung des Spotterplatzes.

Auf dem 30-minütigen Loop des Donnerradars sah ich, wie sie in die vorhergesagte Richtung sich ganz langsam von Bodman nach Meersburg bewegte, was meine Vorfreude auf gute Blitzaufnahmen steigerte. Wegen der Verzögerung auf dem Radar von rd. 4-6 Minuten, zwischen Messung und Wiedergabe, glaubte ich, die Zelle sei noch sehr aktiv. Doch in Wahrheit fiel sie in sich zusammen, wobei die Blitzrate rasch abnahm und sie gemäss Radardaten um ca. 22 52 Uhr bei Markdorf die letzten Wolkenblitze produzierte (Die letzten Wolkenblitze bei Markdorf (D)).

Um 22 55 Uhr war diese Gewitterzelle dann definitiv abgestorben, wie so oft mit einem positiven Schluss-CG (CG = Cloud to ground = Bodenblitz) quasi besiegelt, wie ich ihn zu nennen pflege und seit Beginn meiner Gewitterjagden als bisher noch ungeklärtes Phänomen immer wieder beobachten durfte (die ist kein offizieller, meteorologischer Begriff und stammt von mir).

Kachelmannwetter: positiver Schluss-CG bei Markdorf um 22 55 Uhr

Meine intuitiven Bedenken während der Fahrt, die plötzlich aufkamen, waren grundsätzlich berechtigt. Doch wissen konnte ich keineswegs, ob es nicht besser wäre, die Jagd bei Müllheim abzubrechen und nach Hause zurückzukehren. Zwischen der Gewitterzelle und mir war die Distanz noch etwa 30 km und bis zum Spotterplatz Kreuzlingen nur noch etwa 13 km. „Manchmal verstärken sich die Gewitterzellen am Bodensee über dem Wasser, oder in Ufernähe wieder und man weiss nie welche Überraschungen das Wetter für einem noch bereit hält“ dachte ich und fuhr weiter.

22 59 Uhr und 22 Sekunden. Über dem Ende der oberen Rheinstrasse auf der Insel Reichenau, zwischen Mittelzell und Oberzell, produzierte eine kleine Schwesterzelle ihren zweiten Wolkenblitz innert weniger Minuten, exakt im selben Moment, als ich auf der Autobahn A7 am Conny-Land bei Lipperswil vorbei fuhr. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wurde es taghell, begleitet von einem sehr lauten Knall und ich sah, wie ein Blitz rd. 50-60 Zentimeter vor meiner Nase in die obere Kante der Windschutzscheibe bei meinem Auto einschlug.

Kachelmannwetter, Wolkenblitz um 22:59:22 Uhr auf der Insel Reichenau

Kachelmannwetter, Erdblitz (-CG) in mein Auto bei Lipperswil auf der A7 um 22:59:22 Uhr

Ein leichtes Kribbeln im linken Arm und ein ebenso leichtes Stechen in der linken Schulter waren zum Glück nicht lange spürbar. Zuvor hatte es in der Gegend wo ich mich befand überhaupt nicht geblitzt und die Gewitter waren sehr weit weg, in mehr als 10 km Distanz (bis über 20 km zu Markdorf), sichtbar. Der Blitz besass zwar „nur“ eine Stärke von -26 kA, doch potentiell hätte es gereicht ein Leben auszulöschen. Dieses Erlebnis war sehr eindrücklich.

Aber warum traf der Blitz, der aus einer Gewitterwolke über der Insel Reichenau kam, ausgerechnet mein Auto ?

Um 22:59:22 Uhr registrierte die Blitzortung absolut gleichzeitig zwei Blitze unterschiedlicher Art. Einer war ein Wolkenblitz in einer Gewitterzelle über der Insel Reichenau und der andere war ein Bodenblitz, der von dieser Zelle her kommend mein Auto traf, auf eine Distanz von 9,242 km. Unglaublich!

Wegen dem etwas schrägen Einfallswinkel des Blitzes war die Lokalisierung bei BLIDS nicht exakt über der rechten Fahrbahn der A7, wo ich mich befunden habe, sondern rd. 15-20 Meter neben der Fahrbahn. Diese Messdifferenzen und Abweichungen sind aber vernachlässigbar.

Auf der Radaranimation beim Donnerradar (metradar), dessen Blitzdaten im Overlay mit Niederschlagssignaturen zur Verfügung stehen, sieht man innerhalb des 30-minütigen Zoom-Loops um 23 00 Uhr MESZ ausserhalb der Zelle, südlich in der regenfreien Zone bei der Autobahn A7 einen roten Punkt aufleuchten. Dort bin ich gerade zu diesem Zeitpunkt und werde von dem hier erwähnten Blitz getroffen (im Still darunter an der Spitze des gelben Pfeils).

Donnerradar (metradar) Zoomloop (kostenpflichtig) vom 27.07.2016, 22 55 – 23 25 Uhr MESZ. Der rote Punkt auf der A7 in Richtung Kreuzlingen ist einer dieser von der Firma nowcast durch das Ortungssystem registrierter  Bodenblitz, ausserhalb des Niederschlags, der mir ins Auto einschlug, als ich die Stelle beim Conny-Land in Lipperswil passierte

Markierung auf dem Still, gelber Pfeil: Der rote Punkt bei der Autobahn A7 ist ein Blitz, der den Ort bezeichnet, wo mein Auto von einem Blitz getroffen wurde, rd. 9 km von der eigentlichen Zelle entfernt.

Es gibt bei diesem Strassenabschnitt kein Gebäude, keine Strommasten o. Ä., was den Blitz hätte „anziehen“ können, wie man umgangssprachlich oft sagt, stets in der Meinung, der Blitz treffe immer den höchstgelegensten Punkt, dort wo mehrere Objekte beisammen stehen, oder eben etwas Markantes besonders hervorsticht. Dieses Beispiel hier, ist ein guter Beweis dafür, dass die oben erwähnte, allgemein gebräuchliche Behauptung nicht stimmt, denn ganz in der Nähe befand sich der Freizeitpark Conny-Land, mit riesigen, über zwanzig Meter hohen Stahlbauten, die danach eher hätten getroffen werden müssen.

In etwa 300 Meter Entfernung von meinem fahrenden Standort auf der Autobahn A7 in Richtung Kreuzlingen (hellblauer Punkt), befinden sich meterhohe Stahlbauten im Freizeitpark Conny-Land in Lipperswil, die ein Blitz aus einer Distanz von über 9 km gerade so gut hätten „einfangen“ können. Nicht immer werden die höchsten Gebäudestrukturen in einer Gegend vom Blitz getroffen, was immer noch rätselhaft ist.

 

Am Rand der Verzweigung Lipperswil, die zum Freizeitpark Conny-Land führt, stehen mehr als 20 Meter hohe Stahlkonstruktionen und Stützen einer Achterbahn. Der Blitz fegte darüber hinweg und wählte stattdessen als Ziel mein Auto, mit dem ich 300 Meter entfernt vorbei fuhr.

Der rd. drei- bis vierhundert Meter lange Strassenabschnitt der A7 bei Lipperswil wird nordwestlich von halbhohen Bäumen und Büschen gesäumt, die den angrenzenden Golfplatz etwas abschirmen. An genau dieser Stelle wurde mein Auto überraschend vom Blitz getroffen (Gemeindegebiet Wigolfingen).

Ich fuhr auf der Autobahn A7 in Richtung Kreuzlingen (hellblauer Punkt), als plötzlich ein Blitz die Frontscheibe meines Autos traf.

Google-Maps-Link, Conny-Land Lipperswil mit Autobahn A7

Google Maps Link, mit Street-View auf der Autobahn A7

Schweiz mobil / Veloland-Karte Lipperswil

Es kursiert immer noch die irrige Meinung, dass jedes Fahrzeug ein faradayscher Käfig sei. Nur wenn das Fahrzeug einen geschlossenen Metallrahmen aufweist, ist man zu 99,99% darin sicher. Viele Karrosserieteile sind jedoch aus Kunststoff und nicht leitfähig. Das erhöht natürlich die Gefahr.

Faradayscher Käfig (Wikipedia)

Diese Frau auf dem ABCNews-Video aus den USA hatte Pech. Bei ihr lösten die Airbags aus, die Heckscheibe schmolz und der Blitz drang in die Elektronik des Autos ein, was u.a. zu einem Brand führen kann.

Auto vom Blitz getroffen und danach defekt

Bei folgendem Video wird ein Auto im Gegenverkehr vom Blitz getroffen:

Youtube: Lightning strikes car in oncomming traffic

Der Stormchaser Jon Person muss nach einem Blitzeinschlag in sein Auto sofort anhalten (sehr eindrückliches Video, das praktisch eine identische Situation wiedergibt, wie ich sie erlebte – nur schrie ich nicht herum…., sondern blieb ruhig)

Youtube: Moments of impact: Lightning strikes SUV

Unter Laborbedingungen setzte sich Richard Hammond von Top Gear (BBC) in ein Auto, das von einem künstlich erzeugten Blitz getroffen wurde.

Youtube: Richard Hammond struck by lightning in car – Top Gear – BBC

Auch Flugzeuge sind faradaysche Käfige, weshalb Flugzeuginsassen bei einem Blitzeinschlag unversehrt bleiben. Von solchen Ereignissen gibt es sehr eindrückliche Videos im Internet (Youtube), z.B. bei der Delta Airline am Flughafen, während sie in der Warteschlange zum Start steht:

Youtube: Delta Airline Flugzeug wird vom Blitz getroffen

Würden die Blitze immer die höchsten Punkte, bzw. die kürzeste Distanz zum Objekt (mit der meisten „Anziehung“) wählen, hätte dieser bei der Delta Airline die Spitze des Seitenleitwerkes getroffen und nicht den rückwärtigen Teil des Rumpfes.

In den Nachmittagsstunden, am 27.07.2016, war ich zunächst in der Nähe von Brütten, mit Blick auf die Zelle, welche sich vom Napf her und aus der Innerschweiz in Richtung Albis bewegte; eine wunderschön strukturierte und kräftige Cumulonimbus capillatus incus

Diese kräftige Gewitterwolke mit der Ambossform hatte hier die letzte Reifephase in ihrem Entwicklungszyklus bereits erreicht. Sie produzierte Sturmböen und Hagel, sowie Blitze und Starkniederschlag und wird „cb“ genannt, was ein Kürzel für diese Wolkenform ist. Sie heisst auch Cumulonimbus capillatus incus. Foto Cyrill Steiger

Nach einem Gewitter gibt es oft auch zauberhafte Wolkenbilder, die man bestaunen und fotografieren kann. Der Sonnenuntergang am 27.07.2016 war besonders schön:

Sonnenuntergang am oberen Zürichsee, am 27.07.2016. Foto Cyrill Steiger

Schweizer Sturmforum, Chasingbericht vom 27.07.2016

Leider war am nächsten Tag aus der Zeitung zu erfahren, dass ein junger Älpler im Kanton Glarus vermutlich durch einen Blitzschlag ums Leben kam (s. „Blick“ online, unten):

Älpler tot aufgefunden. Wurde er vom Blitz getroffen?

Mit grosser Wahrscheinlichkeit war es dieser -35kA-Blitz, den ein Forumsmitglied (Bergler) im Blitzortungssystem bei Kachelmannwetter gefunden hatte, der um 16 56 Uhr diesen jungen Mann tötete. Sehr tragisch!

BLICK-online Artikel über einen Todesfall in Glarus

Wie mein hier erläutertes Beispiel zeigt, kann ein Blitz auch weit entfernt von seiner Ursprungswolke und ausserhalb eines zur Gewitterzelle gehörenden Niederschlagsbereichs ein Gebäude, einen Menschen usw. treffen; mit der Gefahr für Leib und Leben. Dies wird leider allzu oft vollkommen unterschätzt!

Über den Grund, weshalb mein Auto über eine so weite Distanz getroffen wurde, kann man nur spekulieren und ich hege die Vermutung, dass dieses Phänomen mit einem bereits bekannten Effekt erklärt werden könnte. Nur ist die Dimension vielleicht neu. Ich denke da an eine elektrostatische Aufladung und/oder Influenzerscheinung. D.h, da ich in den Tagen und Stunden zuvor mehrere Mal in hochenergetischer, gewitterlastiger Luft unterwegs war, könnte sich auf der Karosserie eine Art Ladungsverschiebung freier Elektronen ereignet haben, wie bei einer Influenz. Durch die erhöhte Ladungsdichte, steigt auch die elektrische Feldstärke, als ein Potential elektrostatischer Aufladung. Es ist in diesem Zusammenhang ein Fall zu erwähnen, bei dem jemand den ganzen Nachmittag vor dem Fernseher sass und über die Bildröhre (noch die alte) „aufgeladen“ wurde, dann bei Regen und Gewitter nach draussen ging, um den Briefkasten zu leeren, wobei ihn genau im Moment des Öffnens der Blitz traf. Dies geschah mitten in einer sehr dicht besiedelten Gegend, in der einige höher gelegene Punkte den Blitz hätten „anziehen“ können, es aber nicht taten.

Wikipedia Influenz

Wikipedia Elektrische Feldstärke

ENDE


Kategorien

Letzte Beiträge

Archiv