Xtreme Weather Tours Blog

Trichterwolke bei Hallwil am 18.06.2016

Erkennung einer Funnel-Cloud über eine Distanz von 39 km

Gepostet von Cyrill Steiger am 22. November 2017

Es sind Wolkenformationen, die konisch nach unten hin spitz zulaufen, also eine trichterförmige Gestalt aufweisen. In der kroatischen Sprache heisst eine solche Trichterwolke „pijavica“, in Anlehnung an die Gestalt eines Blutegels. Schlauchartige Gebilde in einer Kreiskegelform heben sich mehr oder weniger deutlich von der übrigen Bewölkung ab und sind ausnahmslos an eine sog. Mutterwolke gebunden, von welcher die eigentliche Rotation ausgehen sollte, sonst wäre es keine Funnel-Cloud. Genau hierbei begegnen wir einem dieser Hauptprobleme bei der einwandfreien Erkennung und Identifikation einer Trichterwolke: nur wenn sie sich durch den entstandenen Wirbel an der Basis der Mutterwolke nach unten schraubt und dreht, kann sie zweifelsfrei als Trombe bezeichnet werden. Dieser Begriff ist in den in der italienischen Sprache gebräuchlichen Worten „tromba d’aria“, sowie „tromba marina“ enthalten. Damit werden sowohl Tornados, als auch Wasserhosen und Funnel-Clouds bezeichnet. Doch manche vermeintliche Sichtung einer Funnel-Cloud erweist sich am Ende als falsch, denn einige Wolkenarten besitzen auf den ersten Blick betrachtet eine täuschend ähnliche Struktur. Entscheidend ist eine sichtbare Rotation und Konstitution eines Wirbels (Vortex), was bei grossen Entfernungen, sowie schlechten Sichtverhältnissen schwierig einzuschätzen ist. Als ich auf meinem Hausberg, dem Sonnenbühl, am 18.06.2016 in die Ferne blickte und bereits einige Fotos von den gewittrigen Schauerlinien am Horizont machte, fiel mir plötzlich um ca. 15 03 Uhr eine aus der Wolkenbasis heraus ragende und umgekehrt-kegelförmige Wolkenabsenkung auf, die sich auf deren Rückseite zeigte. Zuerst traute ich meinen Augen nicht, denn auf so eine enorme Distanz musste ich bisher noch nie eine Funnel-Cloud identifizieren. Aber ich war mir zu 100% sicher und wollte weiterfotografieren, als sich die Trichterwolke nach unten schraubte und Wolkenfetzen in den charakteristischen Verwirbelungen um den Vortex herum nach oben gesogen wurden. Während diese Dynamik für das Auge gut sichtbar war, stellte mein Smartphone plötzlich ab! „Nicht jetzt!“ rief ich und versuchte es wieder neu zu starten. Ab ca. 15 05 Uhr war der Trichter bis ca. 15 16 Uhr gut zu erkennen. Nur 4 Minuten vor Schluss war mein Handy wieder einsetzbar und ich hatte Glück, denn um 15 13 Uhr (und 32 Sekunden) war die Funnel-Cloud am schönsten (s. Fotos):

Unterhalb der Wolkenbasis einer Gewitterwolke bildete sich am 18.06.2016 um 15 03 Uhr (Foto von 15:13 Uhr) eine Funnel-Cloud und blieb am Horizont, in Richtung Mutschellen (Bildmitte), während rd. 12 Minuten sichtbar. Im Vordergrund befindet sich der kleine Weiler auf meinem Hausberg „Sonnenbühl“ namens „Wagenburg“

In der Vergrösserung des mittleren Bildausschnittes der obigen Aufnahme ist die erwähnte Funnel-Cloud gut zu sehen. Wie ein umgekehrter Kegel „hängt“ sie an der Basis ihrer Mutterwolk

Sofort fotografierte ich die Infotafel bei diesem Aussichtspunkt, von wo aus man bei optimaler Fernsicht rd. 174 km weit sehen kann, bis zu den hochalpinen Bergspitzen der „Les Diableres“-Gruppe.  Im Vordergrund lagen die Häuser des kleinen Weilers „Wagenburg“, über deren Dächer am Horizont diese Funnel-Cloud erkennbar war. Gemäss dieser Infotafel befand sie sich auf einer Linie in Richtung Mutschellen. Die Distanz zu diesem Hügelzug bei Rudolfstetten wird mit 25,8 km angegeben.

Nach der Erkennung der Funnel-Cloud an der Basis einer Gewitterzelle am Horizont, orientierte ich mich sofort auf der am Aussichtspunkt angebrachten Informationstafel, mit Entfernungsangaben zu bekannten Bergen, Hügelzügen und Ortschaften, welche teilweise bei guter Fernsicht gut zu sehen sind. Dieses Foto entstand ebenfalls um 15 13 Uhr.

Als ich nach dem gelungenen Chasing zuhause ankam, setzte ich mich sofort an den Computer und recherchierte. Ich vermutete, dass eine Webcam in der Nähe, diese Funnel-Cloud hätte erfassen müssen, denn mit einer Dauer von 12 Minuten, ist dieses Wetterphänomen für Schweizer Verhältnisse überdurchschnittlich lange zu beobachten gewesen. Ich hatte Glück, denn um 15 10 Uhr zeichnete die Roundshot-Webcam „Üetliberg“ bei Zürich die Trichter-Wolke auf, die auch von da aus noch weit weg schien (s. Fotos):

Die ultramoderne 360° Grad-Roundshot-Webcam auf dem „Üetliberg“ bei Zürich erfasste die Funnel-Cloud in Richtung Südwesten am 18.06.2016, um 15 10 Uhr. Links von der Bildmitte ist der Zürichsee mit dem Pfannenstil (orografische Erhebung) mit einer niederschlagsreichen Gewitterzelle ersichtlich und rechts der Bildmitte befindet sich die Albiskette mit dem daran angrenzenden „Säuliamt“ (umgangssprachliche Bezeichnung dieser Gegend). Wer entdeckt die Trichter-Wolke?

 

Bei der Vergrösserung eines Ausschnittes auf der rechten Bildhälfte, am Rand der obigen Roundshot-Webcam-Aufnahme vom „Üetliberg“ aus, erkennt man deutlich die trichterförmige Wolkenabsenkung der Funnel-Cloud, auch von dort aus in weiter Ferne, doch immerhin deutlicher, als vom „Sonnenbühl“ aus.

Danach checkte ich die Archivdaten des Niederschlagsradars und entdeckte eine konvektive Zelle mit rosa Kern, was man als maximale Intensitätstufe interpretieren darf. Sie liess sich am Nordrand des Hallwilersees lokalisieren. Das Radarbild stammte von 15 20 Uhr. Solche Radarsignaturen zeigen in der Regel im rosafarbenen Bereich Hagel an, dessen microskaliger, vertikaler Luftstrom, in welchem die grosskalibrigen Meteore wie in einer Waschmaschine hoch- und wieder hinuntergesogen werden, als „Hagelschlot“ bezeichnet wird, der nicht selten bis an die Grenze der Troposphäre hinauf reichen kann, wo Temperaturen von – 64° Grad Celsius und weniger herrschen. Im RFD (Rear-Flank-Downdraft-Bereich) einer solchen Gewitterzelle, kann es durch die Windscherung im vertikalen Windprofil zur Rotation und zu kegel-, bzw. trichterförmigen, turbulenten Absenkungen an der Wolkenbasis kommen, woraus dann Funnel-Clouds und in einem erweiterten Entwicklungsstadium Tornados entstehen können.

18.06.2016, 15 20 Uhr. Beim Hallwilersee ist auf dem Niederschlagsradar eine Gewitterzelle anhand der rosafarbenen Kernzone zu erkennen, was auf eine maximale Intensitätsstufe hindeutet, bzw. in den meisten Fällen auf Hagelschlag.

In der Nacht auf den 19.06.2016 publizierte ich kurz nach 02 00 Uhr morgens meine Beobachtungen und Fotos im „Schweizer Sturmforum“, in der Hoffnung, jemand habe dieses Wetterphänomen auch gesehen und könne nebst den Beweisbildern auf der Webcam noch aufschlussreichere Informationen liefern.

Schweizer Sturmforum, Publikation der Beobachtungen am 19.06.2016 in der Nacht auf den Sonntag

Nur einige Stunden später, am Sonntagabend, veröffentlichte der Meteorologe Dr. Andreas Walker, der in Hallwil lebt, sensationelle Nahaufnahmen derselben Funnel-Cloud, natürlich seitenverkehrt, da er in Richtung Nordosten die Fotos erstellte. „Dr. Funnel“, wie er sich im Forum nennt, gibt eine Zeitspanne von 15 10 Uhr bis 15 25 Uhr an, die sich etwa mit meiner Angabe vergleichen lässt. Sehr interessant ist die Aufnahme mit dem kleinen Wolkenfortsatz an der rechten Seite des Vortex (s. Foto unten), der auf dem Roundshot-Webcambild vom „Üetliberg“ links zu sehen ist (s. Foto oben).

Aufnahme der Funnel-Cloud von Hallwil aus in Richtung Nordosten, am 18.06.2016 um 15 10 Uhr. Foto Andreas Walker alias Dr. Funnel (weitere Bilder im Schweizer Sturmforum, s. Link unten)

Beitrag von Dr Funnel (Andreas Walker) im Schweizer Sturmforum mit Fotos der Funnel-Cloud am 18.06.2016 um ca. 15 10 Uhr

In der hier gezeigten Landkarte (Bild unten), ist die Distanz von meinem Beobachtungsstandort „Sonnenbühl“, bis zum mutmasslichen Gebiet eingezeichnet, bei dem man die Funnel-Cloud höchstwahrscheinlich hätte lokalisieren können. Ich habe hierbei eine Entfernung (zwischen grüner und roter Markierung) von 39,233 Kilometer gemessen, welche mich schon etwas erstaunte. Mit guten Kenntnissen über die charakterisierenden Eigenschaften einer Funnel-Cloud, sowie der notwendigen Aufmerksamkeit in Bezug auf die verschiedenen Phasen von Gewitterentwicklungen während den Beobachtungszeiträumen, wird es theoretisch jedem erfahrenen Sturmjäger gelingen, auch auf grosse Distanzen bis 40 km, oder sogar mehr, Trichterwolken eindeutig zu identifizieren. Meines Wissens wurde dies bisher kategorisch in Abrede gestellt, was ich zum Einen etwas verstehen kann, denn nicht jedes gesehene und gemeldete „Zipfelchen“ am Himmel unter einer Wolke ist eine Funnel-Cloud! Zum Andern trägt jede Sichtung zu einer besseren Erkenntnis der Ursachen und der Voraussetzungen hinsichtlich der Entstehung dieser Wetterphänomene bei, selbst wenn es sich um Härtefälle handelt, bei denen keine Eindeutigkeit vorliegt und man eher z.B. ein Fractus in Betracht ziehen muss.

Kurze Rückblende:

Am 18.06.2016 begann ich mein Chasing und fotografierte um 14 08 Uhr einen Cumulus Congestus, den ich zwischen den Häusern in Winterthur-Wülflingen in nordwestlicher Richtung am Himmel entdeckte:

Wenn die Wolkenstrukturen „knackig“ aussehen, also scharf abgegrenzt gegen den blauen Himmel sind und nicht wie nasse Watte aussehen, dann ist ein solcher Cumulus Congestus wie hier im Bild als Vorbote von Gewittern zu interpretieren. Mit einem geübten Blick, kann ein erfahrener Sturmjäger auch in den Wolken lesen und daraus künftige Entwicklungen (z.B. von Gewittern) vorhersagen. 18.06.206, 14 08 Uhr

Um einen besseren und uneingeschränkten Überblick zu erhalten, wechselte ich den Beobachtungsstandort und fuhr auf meinen Hausberg beim „Sonnenbühl“, wo ich mich jeweils auf einer Aussichtsplattform positioniere.

Von meinem Hausberg aus, dem „Sonnenbühl“ hat man eine herrliche Aussicht. Links im Bild zeigte eine Cumulus-Wolke mit knackigen Strukturen, in der Entwicklungsphase zwischen Mediocris und Congestus, dass sich rasch Gewitter bilden. Rd. 25 km entfernt, erkennt man eine niederschlagsreiche Gewitterzelle am Horizont, die etwas südwestlich von Zürich über den Üetliberg zog. 18.06.2016, 14 51 Uhr

Es war 14 51 Uhr, als ich ein Gewitter fotografierte, das über den „Üetliberg“ bei Zürich zog. 14 02 Uhr; der Himmel verdunkelt sich über mir allmählich. Am rechten Bildrand erkennt man am Horizont eine Schwesterzelle, die wenige Minuten später eine Funnel-Cloud produzierte (Bild unten).

Blick vom „Sonnenbühl“ in Richtung Südwesten. Ein Gewitter zog um ca. 15 00 Uhr über Zürich hinweg und war auf dem Weg ins Zürcher Oberland (15 02 Uhr, kurz vor der Entstehung der Funnel-Cloud an der Schwesterzelle)

Funnel-Cloud:

Ein auf dem Kopf stehender Kreiskegel besitzt eine mit der Trichterwolke verwandte, konisch nach unten zulaufende, äussere Form. Bei einem Kegel nennt man die äussere, sichtbare Hülle Mantelfläche. Je glatter diese Oberfläche ist, desto eher kann eine rotierende, trichterförmige Wolkenabsenkung als Funnel-Cloud bezeichnet werden, denn z.B. Stratocumulus Fractus sind von ihrer Charakteristik her immer ausgefranst und fetzenhaft. Zudem treten sie fast immer in Gruppen, sogar ganzen „Kolonien“ auf, während Trichterwolken überwiegend nur vereinzelt anzutreffen sind.

Ein auf dem Kopf stehender Kegel erinnert von der Form her an eine Funnel-Cloud, oder an einen Tornado. Der Scheitelpunkt ist nun unten.

 

 

 


Kategorien

Letzte Beiträge

Archiv